nicht besser wusste, und mir (im Internet) voll Vorfreude die erste Folge, "Die Ankunft" ansah. Damals noch in der Annahme, Nummer Zwei wäre McKellen. Ich entdeckte meinen Irrtum recht schnell, aber dieser ersten Folge folgten sehr schnell aufeinander auch die 16 anderen. Ich weiß noch, dass ich dasaß und mir bei jeder weiteren Folge dachte: Eine Episode noch. Nur noch die eine. Ich hatte da wohl zu viel Zeit, aber eindeutig auch etwas entdeckt, mit dem ich mehr Zeit verbringen wollte. Nachdem ich mir die
synchronisierten Folgen alle angesehen hatte, startete ich neu mit den englischen Originalen (soweit ich sie bisher finden konnte). Meine ersten Erfahrungen mit der Serie machte ich also in ziemlich gebündelter Form.
Wenn ich darüber nachdenke, was mir an NUMMER 6 gerade am Anfang so gefiel, dann fällt es mir gar nicht so leicht, darauf eine klare Antwort zu finden. Ich glaube, da kam viel zusammen. Oberflächlich die Spannung, die überraschenden, ungewöhnlichen und hintergründigen Plots, der Humor, die Dialoge und die zahlreichen Details. Auch die seltsame Atmosphäre des Dorfes, oder Ortes. Zu keiner Zeit fühlte sich die Serie rückblickend für mich an, wie eine Agentenstory oder ein 60er-Jahre-Nostalgie-Schinken, streckenweise wirkte sie auf mich eher, wie Theater (vor allem beim ersten Zusammentreffen von Nummer Zwei und Nummer Sechs in "Once Upon A Time" oder bei den Anhörungen im Rathaus). Vor allem anderen faszinierte mich aber auch das Auftreten von Nummer Sechs, seine Mimik, seine Körpersprache (dass die Folge "Herzlichen Glückwunsch" in den ersten 10 oder 15 Minuten gänzlich ohne gesprochene Sprache auskommt, viel mir anfangs kaum auf. Es wurde doch irgendwie eine Menge gesagt...). Aber auch sein "Nicht-Mitspielen" im mehrfachen Sinne des Wortes.
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Auch von McGoohan hatte ich noch nie etwas gehört, aber ich mochte von Anfang an seine Art. Jetzt im Nachhinein kann ich es vielleicht so ausdrücken: Er trat in meinen Augen nicht wie ein normaler Schauspieler auf, der Nummer Sechs spielt. Seine Verwirrung über seine Ankunft im Dorf, seine Versuche, Nummer Zwei überlegen zu bleiben und sich nicht "einfangen" zu lassen, und seine Suche nach Antworten wirkten ziemlich authentisch. Dass ich gelesen hatte, dass McGoohan zuvor von der Serie DANGER MAN zurückgetreten war, und diese Serie sein Gegenangebot darstellte, passte hervorragend in dieses Bild. Seine Weigerung als Nummer 6, sich abstempeln und kategorisieren zu lassen, bekam für mich aus dieser Sicht einen ganz neuen, zusätzlichen Sinn. Ich glaube, McGoohan und die ganze Serie spielten vielleicht nicht (nur) für die, sondern vor allem auch mit den Zuschauern. Zumindest mit mir. Zu Beginn ging es dabei (nur) darum, mitzuraten, wie es weitergeht, und ich finde, dass THE PRISONER es wie kaum eine andere mir bekannte Serie schafft, dass man sich als Zuschauer schlau vorkommt, wenn man beim Mitdenken richtig zu liegen scheint – und trotzdem beim weiten und dritten Ansehen wieder etwas neues entdeckt.
Aber später ging es dann nicht mehr nur um die Handlung oder ihre (direkten) Aussagen an sich, das Rätselraten löste sich in gewisser Weise von den Inhalten der Plots. Das, was ich mir an Hintergrundinformationen über McGoohan und die Serie zusammensammelte, verstärkte meine Faszination nur noch. In gewisser Weise fing bei mir rückblickend vielleicht erst mit den letzten beiden Folgen alles richtig an.
Da wurde Nummer 6 also in der letzten Folge von einem äußerst seltsamen, absurden Gericht für frei erklärt, das er als "freier Mensch" kaum akzeptieren konnte. Aber endlich hatte er zumindest die Gelegenheit bekommen, Nummer Eins zu demaskieren – und damit sich selbst. Dass er die Veranstaltung sprengte, seinen bösen Zwilling in die Erdumlaufbahn schoss und sich die beiden vom Gericht verurteilten Revolutionäre ins Boot holte, war da fast noch eine Ehrenrettung. Aber vor sich selbst kann man schlecht fliehen (Ich fand hier auch den Artikel "You are Afraid of Yourself - The Prisoner's Shadow Side" von Valarie Ziegler sehr interessant).
Answers are a prison for oneself. Es ist nur konsequent, dass die "Flucht" in einer rollenden Gefängniszelle erfolgt, und zu einem Zuhause führt, dessen Tür – Hausnummer 1 - sich automatisch öffnete, wie die seines Quartieres im Dorf.
An sich schon genug Stoff zum Nachdenken. McGoohan ist auch im Nachspann zur letzten Episode nur "Prisoner". Nummer Eins ist am Ende der Gefangene. An sich nicht unlogisch. Aber .. Wie passt das alles zusammen? Vor allem: Wie ist das dann mit der Individualität..? Ging es nicht eigentlich genau darum, dass er nun endlich auch offiziell keine Nummer mehr war? Das Dorf verlassen hatte? War das nicht immer sein Wunsch? "I am not a number! I am a free man!" Eigentlich fand ich das lange Zeit ein bisschen pathetisch, aber es war doch zumindest als eine der Kernaussagen der Serie gedacht. Oder doch nicht? Denn hier fallen neben anderen Dingen auch wieder die energischen und penetranten "Ich"-Rufe der Maskengestalten ein, die ihn bei seiner letzten Ansprache nicht einmal zu Wort kommen lassen. Sie feiern ihn, feiern sein Ego, und nehmen ihm jede Chance zu freier Rede. Das eigene Selbst als ganz besondere Gefängniszelle. Also irgendwie ein Gefangener, der sich weigert eine Nummer zu sein, und genau deshalb eine Nummer und gefangen bleibt??? Lässt sich das vereinbaren? Soll sich das überhaupt vereinbaren lassen?
Und nun zeigten sich auch in den anderen Folgen, zumindest in manchen, noch ganz andere Stolpersteine. "Obey me and be free" schreit er am Ende von "Freie Wahl". Keiner beachtet ihn. Ein neues Fragespiel (Questions are a burden to others): Kann man frei sein, weil man dem Befehl, frei zu sein, gehorcht? Oder ist man vielleicht auch frei, wenn man sich die Freiheit nimmt,
ihm nicht zu gehorchen? Überhaupt, bestand nicht irgendwie gerade darin, dass sich Nummer Sechs nicht mit seiner Gefangenschaft arrangierte, eine Art Freiheit, die ihm keiner nehmen konnte? In "Pas de Deux" bezeichnet Nummer 2 Nummer 6 (der in seinem ganzen Auftreten gerade zur Nummer 1 wird) als Diktator. Schon in "Die Glocken von Big Ben" bezeichnet Nummer 6 Nummer 2 als Gefangenen, und dieser widerspricht noch nicht einmal. Wer ist hier Gefangener, wer frei? Ist überhaupt jemand wirklich frei? Aber ich würde am liebsten auch die Gegenfrage stellen: Ist aus dieser Sicht überhaupt einer wirklich unfrei?
Und da ist die Frage danach, wie und mit welchen Mitteln und Zielen versucht wird, Nummer 6 seine Informationen zu entlocken, noch nicht mal angeschnitten. Es ist auch noch nicht gefragt, welchen Stellenwert diese Informationen eigentlich haben, außer dem, dass Nummer 6 alle Unannehmlichkeiten auf sich nimmt, um sie für sich zu behalten. Ironischerweise irgendwie inklusive der letzten Unannehmlichkeit, für den Zuschauer bis zuletzt seine Nummer zu bleiben und nicht einmal einen Namen preiszugeben. Kleiner Seitenhieb: Hat das irgendwas mit der Selbsteinschätzung zu tun, die er in "Pas de Deux" so überlegen Nummer 2 gegenüber äußert? "Ein Dummkopf, kein Verräter." Oder doch eher mit dem Wunsch, nicht auf Informationen reduziert zu werden? Oder beides?
Dass McGoohan meinte, sie alle hätten lange Zeit selbst nicht gewusst, wer Nummer Eins ist, passt, finde ich, sehr gut ins Bild. Als hätten auch die Macher sich erst während der Arbeiten an den anderen Episoden so ihre Gedanken gemacht. Vielleicht erspart gerade das der Serie den erhobenen Zeigefinger (zumal nicht ganz klar wird, welchen Zeigefinger man denn jetzt eigentlich heben sollte). Das ganze ist eher eine gemeinsame kurze, aber äußerst interessante, mitreißende und vor allem ambivalente Entdeckungstour ins Menschliche.
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WAS IST PRISONERESK?
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Und wenn du fertig gedacht hast, überleg dir, was du da gerade gedacht hast und fang nochmal von vor an. Answers are a prison for oneself.
Kurz: Die Serie hat in mir jede Menge Fragen aufgeworfen, die auf manche Situationen ein etwas seltsames Licht werfen, dass mich die Dinge nicht unbedingt klarer sehen lässt, sie aber irgendwie auch interessanter macht. Ganz abgesehen davon, dass ich mich in letzter Zeit immer wieder dabei erwische, meine Mitmenschen mit den Worten "Wir sehen uns!" zu verabschieden.
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