Die
ironie in der welt des Villages erschließt sich uns
erst richtig, wenn wir hören, wie die jeweilige Nummer Zwei
den gefangenen Nummer Sechs anspricht. Obwohl darauf aus, Nummer
Sechs' widerstand zu brechen, spricht man doch sehr höflich
und voller

freundlichkeit zu ihm. Nur selten wird der ton rauh,
meist zeigt man sogar großen respekt vor ihm. Nur die Nummer
Zwei aus "Hammer oder Amboss" unterscheidet sich davon
als gewalttätiger und, wie Nummer Sechs sagt, "professioneller
sadist".
Schauen wir uns die ansprachen der verschiedenen Nummer Zweien an
(aus diversen episoden):
"Old boy, my dear fellow"
"My dear fellow"
"my dear chap"
"my dear friend"
"old chap"
"Boy, old boy, my friend"
"My boy, good boy, boy, young man, son"
Auch
andere personen - solche auf seiten der wärter - verhalten
sich Nummer Sechs gegenüber so oder ähnlich. Man nennt
ihn "fellow", "my boy", "Sir",
indirekt auch "likely lad" oder
AUS DEM ENGLISCHEN VON ARNO BAUMGÄRTEL |
"gentleman".
Nummer Sechs und Nummer Zwei unterhalten sich oft miteinander über
relativ nebensächliche themen wie das wetter, jedoch mit ausgesuchter
höflichkeit. Nummer Zwei tut, als seien er und Nummer Sechs
alte freunde, die sich nach jahren wieder treffen:
"At last, delighted to see you!"
"Good day No.6!"
"May I join you?"
"Delightful chat!"
"How good of you to come!"
"Fancy a chat?"
"To what then do I owe the pleasure of your company?"
"Have a nice day!"
"How have you been keeping?"
JEAN-MARC LOFFICIER: DAS GESPENST DER FREIHEIT...
FRANKREICH: LE
RÔDEUR - LE PRISONNIER
MEHR: BRITISHNESS?
MEHR: TAUTOLOGIE
DIE EPISODENTITEL IN NUMMER 6
Natürlich
ist diese masche alles andere als unschuldig und Nummer Zwei weit
davon entfernt, der sanfte charakter zu sein, den er vorgibt. Wie
die berühmten tyrannen ist Nummer Zwei in erster linie ein
mächtiger demagoge, der sich beim volk in szene zu setzen weiß.
So wird von Nummer Zwei in "Free For All" nachdrücklich
betont, dass der Ort eine demokratische gesellschaft sei,
wo "every citizen has a choice". Auch wenn

FREE
FOR ALL: TALLY-HO-REPORTER NUMMER 113 INTERVIEWT KANDIDAT
NUMMER 6. FOTOGRAFENKOLLEGE NUMMER 113B SCHIESST FOTOS
REPORTER:
HOW ARE YOU GOING TO HANDLE YOUR CAMPAIGN?
NUMBER 6: NO COMMENT.
REPORTER: (NOTIERT)"INTENDS TO FIGHT FOR
FREEDOM AT ALL...
PHOTOGRAPHER: SMILE!
REPORTER: ...COSTS." HOW ABOUT YOUR INTERNAL POLICY?
NUMBER 6: NO COMMENT.
REPORTER: (NOTIERT) "WILL TIGHTEN
UP ON VILLAGE SECURITY."
PHOTOGRAPHER: SMILE!
REPORTER: HOW ABOUT YOUR EXTERNAL POLICY?
NUMBER 6: NO COMMENT.
REPORTER: (NOTIERT) "OUR EXPORTS WILL OPERATE
IN EVERY CORNER OF THE GLOBE." HOW DO YOU FEEL ABOUT LIFE
AND DEATH?
NUMBER 6: MIND YOUR OWN BUSINESS.
REPORTER: (NOTIERT) "NO COMMENT."
|
Nummer
Sechs dem kaum glauben schenkt ("Elections - in this place?")
, brüsten sich die verantwortlichen doch damit bei passender
gelegenheit. In "Die Ankunft" etwa zeigt Nummer Zwei dem
neuankömmling die gebäude des Ortes und und erzählt
ihm: "We have our own council, democratically elected".
In "Die Anklage" betont die aufpasserin von Nummer Sechs
die regeln nach dem motto "Of the people, by the people,
for the people". Und die weibliche Nummer Zwei tut, als
glaube sie an die macht des volkes:
Nummer Sechs: I have a choice ?
Nummer
Zwei:
You do as you want
Nummer
Sechs:
As long as it's what you want
Nummer
Zwei:
As long it is what the majority wants. Were democratic, in
some ways.

Geradezu
verdächtig, wie
die rolle des volkes in den lautsprecherdurchsagen der episode "Die
Glocken von Big Ben" betont wird: "Your local council,
and remember it is your local council, democratically elected by
you, has decided to organize a great new competition."
Tatsächlich stellt sich in "Free For All" heraus,
dass die wahlen nur ein ausgefuchstes mittel sind, um Nummer Sechs
zum reden zu bringen. Und das wort "demokratie"
MUSIK IN DEN OHREN
Synchronregisseur Joachim Brinkmann hatte ein ausgesprochenes feinempfinden für die deutsche sprache. Dazu gehört in allererster linie seine übertragung anscheinend völlig unproblematischer begriffe ins deutsche, hier besonders: the Village. Bei Brinkmann ist es schlicht der Ort oder das hier, hierher, platz - niemals aber Dorf! Die deutsche version erscheint punktuell mysteriöser als das original. Diese bedeutsamen änderungen sind als "injektionen" bekannt geworden.
Man könnte es auch unter dem stichwort "musikalität" erörtern. Sprechen Sie einmal folgende sätze laut vor sich her, achten Sie dabei auf den sprechrhythmus:
Where am I? - In the Village.
What do you want? - Information.
Und nun auf deutsch:
Wo bin ich? - Sie sind da.
Was wollen sie? - Informationen.
Und nun noch einmal auf deutsch:
Wo bin ich? - Im Dorf.
Nachzulesen, glücklicherweise aber nicht anzuhören, in den deutschen untertiteln des prologs fast jeder epsiode. Neben diesem beispiel, das durchaus dem musikalischen duktus geschuldet sein könnte, etwa: "Oranger Alarm". Die wortwörtlichste übersetzung klingt genau so wenig überzeugend wie "Im Dorf". Brinkmanns entscheidungen überzeugen sprachlich und inhaltlich, wo er sich gegen das wörterbuchwissen entscheidet: "Weisser Alarm" und: "Sie sind da!".
"Sperrstunde" wäre der korrekte begriff für das englische "curfew time" in "Die Glocken von Big Ben" gewesen. Im militärisch-technischen sinne hätte man ihn nehmen können. Stattdessen erklingt das viel poetischere "Der tag ist zuende in 15 minuten" und unterstreicht im vorbeigehen den charakter des gefängnis-Villages als urlaubsparadies am meeresstrand. "Sea escape", der titel des nächstfolgenden kunstwettbewerbs aus derselben episode, hätte angemessen mit "meeresflucht" übersetzt werden können. Auch hier zeigt Brinkmann sein poetisches und zugleich gutes sprachempfinden für ironische töne: "Flucht über das weite, offene meer." Mehr beispiele ließen sich bei wiederholtem genauen hinhören finden.
Unter verwendung eines textes von Michael Brüne.
MEHR: VILLAGE RADIO |
hat sicher
nicht dieselbe bedeutung wie sie im lexikon zu finden ist. Begriffe werden teilweise ihrer bedeutung beraubt. Das wort "frei"
zum beispiel hat nichts mehr zu tun mit der bedeutung "handeln
nach eigenem willen ohne zwang". Das wort findet im zusammenhang
mit "Free Sea" verwendung, ein schild, das auf
einen zierbrunnen verweist, auf dem die bewohner ihre spielzeugboote
fahren lassen können (mehr...).

Das
umdeuten von begriffen für ideologische zwecke erinnert
stark an George Orwells roman "1984". Dort wird
von der regierung versucht, die sogenannte "neusprache"
innerhalb der bevölkerung durchzusetzen. In einer anleitung
heißt es, das wort "frei" könne nicht mehr
im sinne von "politisch oder gedanklich frei" benutzt
werden , sondern nur in derselben restriktiven weise wie im Ort,
wie in dem beispiel ein hund ist frei von der leine. Nebenbedeutungen
eines wortes werden unterdrückt. Nummer Zwei benutzt begriffe,
die zwar noch immer sehr viele konnotationen mit sich tragen, entledigt
sich ihrer jedoch, da sie an diesem ort ohnehin unpassend kämen.
Begriffe werden nur ihres ansehens wegen gebraucht. Die behauptung
der Village-verantwortlichen, man sei eine "demokratie",
machen aus dem Ort noch lange keine solche, und alle wissen
das. In "1984" wird diese methode als "zwiedenken
- doublethink" bezeichnet.
Vermutlich
am ironischsten von der sprache gebrauch gemacht wird mit dem schild
am haus von Nummer Sechs, auf dem zu lesen steht: "6 private".
Das wort "privat" hat jeden wirklichen bedeutungsbezug
verloren, denn jeder schritt von Nummer Sechs wird überwacht.

STEINALTE
AUSGABE VON 1973: 1984
Korrumpierte
sprache - und man kann durchaus sagen, sie dient dazu, lügen
den anschein von wahrheit zu geben, mord zu rechtfertigen und nebulöses
solide erscheinen zu lassen. Wenn Nummer Zwei zu Nummer Sechs sagt:
"We want you to be happy!", versteht man, dass
er hofft, Nummer Sechs' aggression und rebellion mögen verschwinden.
Schamlose lügen seitens der verantwortlichen oder von denen
auf ihrer seite, wärter und bewohner. Was bleibt, ist große
ironie in ihrem reden:
"It's
improper to listen"
- wo es überall versteckte mikrofone gibt ("Die Anklage");
"Anyone
would think you were locked inside the way you talk!"
- während sie es tatsächlich sind ("Die Anklage");
"You'll
be cured No.6"
- heißt nicht, dass man sich um ihn sorgt, sondern psychofolter
("Die Glocken von Big Ben");
"Humour
is the very essence of a democratic society"
- tatsächlich gibt es weder demokratie im Ort noch humor,
oder
"all
cards on the table ..." - wo die wesentlichen fakten
verdeckt bleiben (beide
"Free For All").
Oder
im dialog der episode "Schachmatt", Nummer Zwei: "We
have ways of making you see sense, ways that are carried under the
strictest medical supervision of course."
Nummer
Sechs: "I can guess what, from the state of the man you
took yesterday!"
Nummer Zwei: "The rook? Oh, he will come to no harm, he's
been put on a rehabilitation course."
Nummer Sechs: You make it sound very attractive. What do you
want me to do, envy him ?"
Der
soundtrack der serie tut das seine und verstärkt diesen aspekt
noch, verwendet dieselbe art doppelsprache. So spricht Nummer Zwei
mit ruhigen worten, jedoch in völligem gegensatz zu dem, was
er tut. Und während man einfühlsame musikstücke hört,
ereignen sich - psychologisch oder körperlich - die gewalttätigsten
dinge in der serie:
- Während im radio muzak zu hören ist, zertrümmert
Nummer Sechs das gerät;
- am strand gibt es einen kampf, dazu ein jazzthema;
- begräbnisse mit musik der blaskapelle ("Radetzky-Marsch");
-
Nummer Sechs wird bei einem schlaflief unter drogen gesetzt
- Nummer Sechs beim hören der blaskapelle moralisch gebrochen;
- gewaltsame auseinandersetzung zwischen Nummer Sechs und Nummer
14 zur musik von Vivaldi;
- maschinengewehrfeuer zum Beatles-song "All You Need Is Love"
(mehr...).

JEAN-MARC LOFFICIER: DAS GESPENST DER FREIHEIT...
FRANKREICH: LE
RÔDEUR - LE PRISONNIER
MEHR: BRITISHNESS?
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DIE EPISODENTITEL IN NUMMER 6
"Gentlemen,
you can't fight in here!
This is
the War Room."
Präsident
Merkin Muffley in Stanley Kubricks
DR. STRANGELOVE
"Language is a virus from outer space"
William S. Burroughs
Der
beitrag wurde vom autor auf englisch unter dem titel "A Study
of the Television Series The Prisoner" verfasst und zuerst
auf der französischen PRISONER-convention in Lyon 1999, dann
als examensarbeit an der François Rabelais Universität
in Tours (Frankreich) veröffentlicht. Auszugsweise übersetzung
und bearbeitung von Arno Baumgärtel; mit dank an Patrick
Ducher von Le RÔdeur.
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