Wenn
George Orwell unter dem Einfluss bewusstseinserweiternder Drogen
ein James-Bond-Abenteuer geschrieben hätte, dann wäre
wohl so etwas wie NUMMER SECHS dabei herausgekommen. Die Fernsehserie
entstand 1967 auf Anregung des Hauptdarstellers Patrick McGoohan,
der als ausführender Produzent und zeitweise auch als Autor,
Regisseur und Editor fungierte. Ihm wurde ein Etat von 75.000
Pfund pro Episode zugebilligt, das Doppelte einer gewöhnlichen
Serienproduktion. Produzent Lew Grade - von ihm stammte auch
SIMON TEMPLAR (1962 - 1969) - wusste, was er tat: Er hatte die
Serie bereits in die USA verkauft, noch ehe alle Drehbücher
fertiggestellt waren.
Sichtlich
aufgebracht stürmt ein Agent Ihrer Majestät in das
Büro seines Vorgesetzten und knallt seine Kündigung
auf den Tisch. Der Mann fährt heim und packt die Koffer.
Da strömt Gas in das Zimmer, und der Mann wird bewusstlos.
Unbestimmte Zeit später erwacht er, anscheinend im selben
Raum, doch als er aus dem Fenster blickt, sieht er die Häuser
eines vor Idylle gleichsam strotzenden Städtchens. Die
Bewohner des Ortes sind, wie er selbst, frühere Staatsbeamte,
die Zugang zu geheimen Informationen hatten. Sie wurden offenbar
einer Gehirnwäsche unterzogen und tragen nun anstelle
ihrer Namen nur noch Nummern - unser Mann bekommt die Nummer
sechs. Niemand kann die Stadt verlassen, elektronische Überwachungsanlagen
und ein allgegenwärtiger, anscheinend ferngesteuerter
weißer Ballon, der seine Opfer einfach erstickt, sorgen
dafür.
Ansonsten
funktioniert das Leben der kleinen Gemeinschaft ganz normal
- es gibt eine Tageszeitung, ein Rathaus und sogar demokratische
Wahlen zum Stadtrat. Die eigentlichen Herren des Ortes bleiben
unsichtbar. Vertreten werden sie von einem Mann mit der Nummer
zwei. Er versucht auf mancherlei Weise, dem Titelhelden die
Beweggründe für dessen Kündigung zu entlocken,
ein angesichts der Unbeugsamkeit des Betreffenden diffiziler
und darob auch delikater Job, denn wer versagt, wird abberufen.
So kommt es, dass die Nummer zwei alle paar Folgen wechselt.
Trotz aller Fährnisse wird Nummer sechs im Laufe der
Serie die Flucht wagen. Vor allem aber versucht er herauszufinden,
wer wirklich hinter den Kulissen des ominösen Gefängnisdorfes
herrscht ...

Der
in New York geborene, aber in Irland und Großbritannien
aufgewachsene Patrick McGoohan war nach mehrjähriger
Theatererfahrung durch die britische Serie DANGER MAN (1960
-1966; in den USA später umgetitelt zu SECRET AGENT)
zum Fernsehstar geworden. Darin hatte er den Geheimagenten
John Drake verkörpert, eine Art Feuerwehrmann für
Konflikte aller Art, ein James Bond in der Pantoffelkinoversion.
NUMMER
SECHS war Fortsetzung und zugleich Negation dieser Rolle.
Verschiedentlich wurde darüber spekuliert, dass McGoohan
diese obskure Saga konzipierte, um das ungeliebte Image des
omnipotenten Superhelden wieder loszuwerden. Da Nummer sechs
nie bei seinem wirklichen Namen genannt wurde, lagen derartige
Überlegungen nahe. Der introvertierte und publikumsscheue
McGoohan bestritt jegliche Koinzidenz, sein script editor
George Markstein, der als ausgewiesener Kenner des britischen
Geheimdienstes selbst einiges zur Serie beitrug, bestätigte
sie. Der Dialogsatz "Classes will resume during the
morning ... break!" führte zu leidenschaftlichen
Diskussionen unter den im Six of One-Club organisierten Fans,
weil einige statt "break" den Namen "Drake"
gehört haben wollten. Keinerlei Interpretation bedurfte
hingegen der Schlüsselsatz der Serie: "I am not
a number."
Dem Urheber des Ganzen schien nicht unrecht zu sein, dass
jahrelang über Inhalt und Bedeutung der surreal anmutenden
Serie gerätselt wurde. Als Koproduzent profitierte er
von jeder der vielen Wiederholungen. Von dem Wunsch nach Mystifikation
zeugt auch das äußerst seltsame Finale, dessen
Drehbuch McGoohan selbst verfasste, angeblich erst zwei Tage
vor Drehbeginn. Über die absurde Auflösung - Nummer
sechs und die geheimnisvolle Nummer eins erweisen sich als
ein und dieselbe Person - waren seine Anhänger dermaßen
empört, dass sie McGoohans Wohnung belagerten und ihn
sogar tätlich angriffen. McGoohan behauptete, derartige
Kontroversen beabsichtigt zu haben, kapitulierte aber letztendlich
vor dem Ansturm und zog nach Los Angeles, wo er weiterhin
als Schauspieler und Regisseur arbeitete. Unter anderem inszenierte
er einige Folgen der Krimiserie COLUMBO, einen Serienpart
spielte er in der kurzlebigen Arztreihe RAFFERTY (1977).

Die
NUMMER SECHS-Afficionados halten ihrer Lieblingsserie bis
heute die Treue. Noch immer treffen sich die über 2.500
Mitglieder des Fanclubs regelmäßig im nordwalisischen
Portmeirion, dem real existierenden Schauplatz der Serie.
Alle
Rechte liegen beim Autor.
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Anmerkungen
Das anhaltende Interesse an der Serie bewog den britischen
Sender Channel Four 1984 zur Produktion einer Dokumentation
mit dem Titel "Six lnto One - The Prisoner File"
(mehr...).
Der
story editor und Ko-Creator George Markstein hatte
einen Cameo-Part in der Vorspannsequenz: Er nahm als Vorgesetzter
des Agenten, der bald darauf nur noch Nummer sechs heißen
sollte, dessen Demission entgegen.
Die
Architektur spielt in NUMMER SECHS eine ganz eigene Rolle.
Der Drehort Portmeirion besteht tatsächlich aus einer
einzigartigen Ansammlung eklektizistischer Bauten. Geplant
und gebaut wurden sie zwischen 1926 und 1966 von dem Autodidakten
Sir Clough Williams-Ellis, der Baustile aus verschiedensten
Epochen und Regionen durcheinanderwürfelte: "Portmeirion
ist eine an die reizvolle Küste von Wales versetzte italienische
Hügelstadt ... Trompe l'oeil, blinde Fenster, auf fünf
Sechstel der normalen Gröl3e geschrumpfte Gebäude,
optische Täuschungen, genau kalkulierte Naivitäten,
ausgefallene Spielereien (ein Segelboot, in Beton gegossen,
dient als Stützmauer) - solche billigen Einfälle
sind bei Schriftstellern und Touristen beliebt. Der Erbauer,
Sir Clough William-Ellis, hat alte Gebäude ausgeschlachtet
und Teile davon in seine neue Konfektion übernommen."
(Charles Jencks, Die Sprache der postmodernen
Architektur, Stuttgart 1978).
Zu
den prominenten Gästen des malerischen Ortchens gehörten
Autoren wie Bertrand Russell, Ceorge Bernard Shaw und Noel
Coward.
"Ich habe nichts gegen Romantik im Fernsehen. Aber
Sex ist die Antithese von Romantik. Ich meine den unaufrichtigen,
promiskuitiven Sex. Das Fernsehen ist ein gigantisches Monster,
das von vielerlei Menschen konsumiert wird. Es hat eine moralische
Verpflichtung gegenüber seinem Publikum."
(Patrick McGoohan)
"He
was the original virgin of the secret service."
(Hilary Kingsley/Geoff Tibballs)
Verwendete
Quellen:
Alain
Carrazé & Hélène Oswald: The
Prisoner. Virgin Publishing 1995 (Editions Huitème
1989)
David Buxton: From The Avengers To Miami Vice. Manchester
1990
Hilary Kingsley/Geoff Tibballs: Box of Delights. London
1989
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