Außer der englischen (Original-) Version ist THE PRISONER weltweit in etlichen anderen Synchronsprachen veröffentlicht worden, darunter Deutsch, Französisch und Italienisch. Abgesehen von bestimmten Unterschieden bei Titel und Nachspann entspricht der Inhalt genau dem Original, doch wurde der gesamte Dialog in die jeweilige Landessprache übertragen

und so sprechen Patrick McGoohan und seine Mitstreiter scheinbar mehrere Sprachen. Das ist natürlich nicht wirklich so. Für jedes Land gibt es einen Übersetzer und einen Dialog-Regisseur. Die Drehbücher werden in die Landessprache übersetzt und der Dialogregisseur engagiert ein Team von Schauspielern, die den englischen Dialog synchronisieren. Dies ist gängige Praxis
AUS DEM ENGLISCHEN VON MICHAEL KIMPEL |
bei Film und Fernsehen und ich bin sicher, fast jeder von uns hat schon einmal in seinem Hotel an der Costa Brava (oder welches Reiseziel dieses Jahr den Zuschlag erhält) den Fernseher eingeschaltet und eine unvergleichliche halbe Stunde bei etwas genossen, von dem wir sicher sind, dass es sich dabei um "Coronation Street"1 handelt. Die deutsche Version von THE PRISONER trägt den Titel NUMMER SECHS und allen, die im Hintergrund kichern und ihre Hausaufgaben in Deutsch nicht gemacht haben, sei gesagt, dass "SECHS" mit einem stimmhaften "S" ausgesprochen wird. Die Übersetzung der Drehbücher stammt von Joachim Brinkmann, der auch die Dialogregie übernahm. Die Synchronisation von Patrick McGoohan übernahm der deutsche Schauspieler Horst Naumann, der in eindrucksvoller Weise dessen Sprachrhythmus und Tonfall wiedergibt.
IDIOMATISCHE REDEWENDUNGEN
Interessant an der deutschen Fassung von THE PRISONER ist jedoch, dass es einige wichtige Unterschiede bei den Drehbüchern gibt und Joachim Brinkmann sich offensichtlich gewisse Freiheiten bei der Übersetzung erlaubt hat und einige Abweichungen aus seiner eigenen Feder in das ursprüngliche Konzept eingearbeitet hat. Dies geht über die Probleme hinaus, die alle Übersetzer haben, wenn sich Redewendungen nicht wortwörtlich von einer Sprache in die andere übertragen lassen. Denn solche Redewendungen sind idiomatisch – der Sinn ergibt sich nur in der Quellsprache und einfach nur die Worte in eine andere Sprache zu übersetzen heißt nicht, dass der Sinn erhalten oder auch nur verständlich bleibt.
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"IM DORF" - EINE LINGUISTISCHE LANDPARTIE
SYNCHRONREGISSEUR JOACHIM BRINKMANN
Die wichtige Redewendung "Six of one, half a dozen of the other" ist ein gutes Beispiel, da es hierfür keine direkte deutsche Entsprechung gibt. Daher entgegnet Nummer Zwei, als Nummer Sechs ihm vorhält: "Ich bin keine Nummer! Ich bin ein Mensch!" anstelle von "Six of one, half a dozen of the other" auf Deutsch mit "Das eine schließt das andere doch nicht aus!". Man stelle sich vor, was dies für den Titel der "PRISONER Appreciation Society" bedeuten würde!

"By hook or by crook" ist ebenfalls eine Floskel, deren Bedeutung so nicht rüberkommt und die ein Umschreiben des Anfangstitels erforderlich machte:
"We want information, information, information.
You won't get it.
By hook or by crook, we will."
Das Problem mit dem Text in der letzten Zeile ist, dass er auf einem Konzept beruht und die Worte für sich alleine nichts bedeuten. Daraus folgt, dass die Übersetzung der letzten Zeile ins Deutsche nur Kauderwelsch ergeben würde und die einzige Alternative darin besteht, nach einer Redewendung zu suchen, die trotz anderer Worte in etwa die gleiche Bedeutung hat. In diesem Fall erhalten wir folgende Änderung des Skripts:
"Wir wollen Informationen, Informationen, Informationen."
"Ich sage nichts."
"Sie werden sprechen, so oder so."
Wenn man "so oder so" zurück ins Englische übersetzt, ergibt die Übersetzung interessanterweise ebenfalls keinen Sinn. Das Kunststück ist ganz offensichtlich, zu wissen, was der Text bedeutet und nicht ihn wortwörtlich zu übersetzen.
"DÖRFLICHE"
BEZÜGE ENTFERNT
Interessanter sind jedoch die Fälle, wo Brinkmann seine eigenen Ideen beisteuerte oder die Gelegenheit ergriff, eigene Wendungen dem Konzept innerhalb des bestehenden Handlungsrahmens hinzuzufügen. Wenn Nummer Sechs fragt "Auf wessen Seite sind Sie?", dann ist die Antwort nicht "Das wäre verräterisch" ("that would be telling"), sondern "Wir sind auf der richtigen Seite". Die vielleicht wichtigste Veränderung am Script war die durchgängige Entfernung des Begriffs "das Dorf" ("the Village") und seine Umschreibung durch Worte wie "hier" oder "der Ort", wodurch die Gefangenschaft von Nummer Sechs noch geheimnisvoller erschien.
Es wäre allzu einfach gewesen, "Village" mit "Dorf" zu übersetzen, daher erscheint die Ersetzung durch "Ort" als eine absichtsvolle Entscheidung. Sie lässt die Dinge anders aussehen, denn während "Dorf" den Eindruck einer kleinen Gemeinschaft erweckt, ist "dieser Ort" frei von Größenbeschränkungen, was dem Ganzen vielleicht eine zusätzliche geheimnisvolle Note verleiht. Wie groß ist "dieser Ort"? Wie klein? Kann er vergrößert oder verkleinert werden und sich an geänderte Anforderungen anpassen? Man gestattet Nummer Sechs nicht den "Luxus" von zumindest wahrnehmbaren Gefängnismauern, was seine Verwirrung und Desorientierung nur noch steigert. Bedenken Sie bitte, dass dies bedeutet, einen wichtigen Dialogteil zu verhunzen. Nehmen Sie den Frage- und Antwort-Abschnitt im Standardvorspann:
"Where am I? - In the Village." Das wird zu: - "Wo bin ich? - Where am I? - Sie sind da. - You are there." (Dies kann man ebenso gut verstehen als "You are here" was für englische Ohren besser klingt.)
Im Verlauf der Serie wird öfters versucht, den Begriff "Dorf – Village" zu umgehen. Im folgenden Beispiel aus "Die Glocken von Big Ben" haben wir das Gespräch zwischen Nadia und Nummer Sechs, wo Nadia sagt, dass sie nicht weiß, wo sie ist. Nummer Sechs wiederholt hier die Textstelle aus dem Vorspann – nicht etwa "Im Dorf", sondern "Sie sind da". Und nochmals, wenn sie sich über Transportmöglichkeiten unterhalten: Nummer Sechs: "Taxis – local service only" wird zu "Es gibt Taxis – Sie fahren aber nur hier im Ort".
Die Übersetzung von "Village" mit "Ort" klingt in englischen Ohren etwas seltsam. Nochmal: Es ist etwas, was sich auf Deutsch gut anhört, da diese Sprache sehr präzise und formal ist, aber es lässt sich nicht auf dieselbe Art und Weise ins Englische zurück übersetzen. Nehmen Sie die folgenden Beispiele, ebenfalls aus "Chimes": Nummer Zwei: "Can I give you a lift back to the Village?" wird zu "Wollen Sie mit mir zurück in den Ort fahren?" (into "the Place"). Nummer Sechs (antwortet auf Colonel J's Frage über Nummer Zwei): "Chairman of the Village" wird zu "Der Boss da, von diesem Ort." ("the chief there, of this Place").
ORANGE
UND WEISS
Nachdem uns bereits das "Village" abhandengekommen ist, verlieren wir nun auch verschiedene Alarmstufen. Wenn der Supervisor "gelben Alarm" ausruft, deutet dies darauf hin, dass eine potentielle Gefahr besteht oder möglicherweise ein Ausbruchsversuch im Gange ist. "Orange Alert" bedeutet, dass die Situation sich verschärft hat und den Einsatz von Rover erfordert.
Der Grund für die verschiedenen Farben geht auf das militärische Alarmierungssystem und deren Zuordnung zu verschiedenen Bedrohungsstufen zurück. Alarmstufe Rot stellt die höchste Stufe dar und ist für sofortige militärische Maßnahmen reserviert, wohingegen es "kältere" Farben für weniger gefährliche Situation gibt, bis herab zur Stufe Schwarz und man sich Tee und Gebäck erlauben kann. Alarmstufe Rot wurde auch in der STAR TREK Serie verwendet, wenn es Zeit war, die Protonen-Torpedos zu laden.
Brinkmann entschied sich, keine dieser Farben zu verwenden und wann immer Rover auf den Plan gerufen wurde hieß es "Weißer Alarm". Das macht irgendwie Sinn, ist jedoch eher dem Aussehen von Rover geschuldet als der dramatischen Entwicklung irgendwelcher Ereignisse. Als Nadia bei ihrem frühen Fluchtversuch aufs offene Meer hinausschwimmt und Nummer Zwei sie dabei beobachtet, drückt er darum anschließend den Knopf mit den Worten "Weißer Alarm", um Rover zu aktivieren.
DRASTISCHE
GEOGRAFISCHE UMSORTIERUNG
Bleiben wir bei "Chimes", dort gibt sich Nadia als Bulgarin aus, anders als in der englischen Fassung, wo sie aus Estland kommt und es gibt eine drastische Umsortierung der geografischen Umgebung des Village. Normalerweise erzählt sie Nummer Sechs, dass sie sich in Litauen befinden und sie denkt über die mögliche Fluchtroute nach, die sie beide nehmen müssen. "Litauen, an der Ostsee. Das heißt, wir müssen nach … Westdeutschland, Dänemark …"
Joachim Brinkmann hat sich jedoch entschieden, den Ort ein ganzes Stück weit nach Bulgarien zu verlegen. Die Pläne von Nummer Sechs sehen nun so aus: "In Bulgarien. Auf dem Balkan. Das heißt, wir müssen nach Griechenland, dann in die Türkei …" Die Flucht übers Meer bis zur polnischen Grenze musste demzufolge geändert werden und unser dynamisches Duo steuert nunmehr das Dorf Wradjye (nicht Branyevo) an der türkischen Grenze an. Interessanterweise wird Wradjye als "ein kleines Dorf" bezeichnet, was andeutet, dass nur das "Village" der Anonymität eines "Ortes" bedarf.
Im weiteren Verlauf der Geschichte treffen sie sich mit Nadias Kontaktmann, der ihre Route nach London bestätigt mit den Worten "Per Schiff, Gdansk – Danzig – weißt du. Per Flugzeug nach Kopenhagen, weiter per Flugzeug nach London." Außer dass sie jetzt woanders sind, also lautet die Route nun "Per Boot in die Türkei – Istanbul – verstanden. Dann mit dem Flugzeug nach Athen, weiter per Flugzeug nach Paris, dann London."
Man reiche mir den Weltatlas, ich verliere langsam die Orientierung (mehr...).
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"IM DORF" - EINE LINGUISTISCHE LANDPARTIE
SYNCHRONREGISSEUR JOACHIM BRINKMANN
Warum Joachim Brinkmann sich entschlossen hat, diese Veränderungen am Originalskript vorzunehmen, ist nicht bekannt. Vincent Tilsley als Autor des Drehbuchs für "Chimes" hat bestätigt, dass er nicht über irgendwelche Veränderungen konsultiert wurde und es scheint so, dass Brinkmann einfach nur seine eigene Note in das Grundkonzept einbringen wollte anstatt lediglich einen einfachen Übersetzer-Job zu machen. Es gibt da sicher einige interessante Ideen.
KEINE EINS-ZU-EINS-ÜBERSETZUNGEN
Was wir bei den deutschen Episoden von THE PRISONER im Endergebnis erhalten, sind abweichende Versionen und keine Eins-zu-eins Übersetzungen, wobei einige Folgen erhebliche Abänderungen zeigen und andere nur geringe. Letztendlich macht es keinen Unterschied, Nummer Sechs kann nicht entkommen, aber die ursprüngliche Handlung erhält dadurch zusätzlich einige interessante Wendungen.

Dieser
beitrag wurde 2004 für das SIX-OF-ONE-mitgliedermagazin "Free
For All" verfasst.
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