Im jahr 2009, zum 40. jahrestag der deutschen fernsehpremiere von NUMMER 6, hatten wir gefragt: Was ist besonders
an NUMMER 6? Was ist es, das Sie an den haken genommen und nicht
wieder los gelassen hat? Was ist das spezifische
daran, dass man spätere televisionäre und filmische produkte
sogar mit dem attribut "prisoneresk" belegt hat? Diese rubrik steht weiterhin für beiträge, erinnerung oder theorie, zur verfügung. Don't be shy!
Erinnerungen eines Süchtigen.
Von
Manfred Brandt
Alter NUMMER 6-Adept
Schon im Jahr 1954 stand für meinen Vater der Entschluß fest, sich einen Fernseher zu kaufen, was für einen kleinen Postangestellten damals bedeutete, sehr viel Geld in die Hand nehmen zu müssen, denn es mußte auch ein großer sein, mit 59er Bildröhre, mehr ging damals nicht, aber er wollte unbedingt die Fußball-Weltmeisterschaft zuhause verfolgen können.
Ich wurde ebenfalls am Anfang dieses Jahres geboren, und kann behaupten, Fernsehkind der ersten Stunde gewesen zu sein. Die ersten Jahre war es für mich natürlich nicht mehr als ein Flimmerbild, das ab und zu in der "guten Stube" lief, und es fiel mir mehr auf, daß nun viel Besuch von Verwandten und Freunden meiner Eltern in unserem Haus ein und aus gingen, was ich erstmal prima fand, denn ich bekam oft kleine Geschenke mitgebracht.
Mit zunehmendem Alter und abnehmendem Interesse an FURY und LASSIE bekam ich Zugang zum Vorabend-Regionalprogramm "Seepferdchen zeigt heute"; an ABENTEUER UNTER WASSER, SPRUNG AUS DEN WOLKEN, SHANNON KLÄRT AUF und andere kann ich mich erinnern, aber GEHEIMAUFTRAG FÜR JOHN DRAKE hat mich geradezu elektrisiert! Ich ließ alles stehen und liegen, um keine Folge zu verpassen, auch wenn ich inhaltlich nicht immer folgen konnte, ich war zu dem Zeitpunkt auch gerade neun Jahre alt, und was ich damals nicht wissen konnte war, daß die Folgen um das Intro und einige andere kurze Szenen gekürzt worden war, um in das Schema des Werbeprogramms zu passen.
1997: KEINE ENTWENDETE AMPEL!
MANFRED WARTET
HINTER DEM
(DAMALS ANALOGEN) VIDEO-BEAMER, DASS ES DUNKEL WIRD...
Ein Jahr später war es plötzlich vorbei mit JOHN DRAKE, den Namen des Hauptdarstellers hatte ich mir nicht gemerkt, und es schien mir, als wäre das für immer vorbei, aber wenige Monate später sendete das "Sehpferdchen" einen kruden Zusammenschnitt von diversen Vorabendserien, in denen deren Stars interagierten zu einer abstrusen Handlung. Im Abspann wurden aber die Namen der Hauptdarsteller aufgeführt – und nun hatte ich ihn: Patrick McGoohan!
PRISONER-CONVENTION: GRUNDLEGENDE INFORMATIONEN
MEHR: VILLAGE STORY BOOK
NUMMER 6 - 1969 DEUTSCHE FERNSEHPREMIERE
PATRICK McGOOHAN 19.03.1928 - 13.01.2009
In den Folgejahren sendete die ARD einige wenige Spielfilme mit McGoohan aus seiner "Rank"-Zeit, und 1968 kehrte JOHN DRAKE für acht Folgen im Abendprogramm zurück, von denen ich nur eine Folge sehen konnte und durfte, da ich zu der Zeit in einem Internat "gefangen gehalten" wurde, und um 20 Uhr Bettzeit war.
Informationen über McGoohan waren äußerst spärlich, aber ich schnitt jede kleine Notiz aus TV- und anderen Zeitschriften aus, deren ich habhaft werden konnte. Und dann sah ich 1969 die Ankündigung: Patrick McGoohan ist wieder da, mit neuer Serie, Ausstrahlungsbeginn noch drei Monate weg – im ZDF! Das war der Sender, den wir mit unserem Fernseher gar nicht empfangen konnten!
Eine Konverter-Box mußte Abhilfe schaffen, die kostete 60 DM, und die hatte ich nicht. Ich lebte in einem kleinen Dorf, die Sommerferien waren nicht mehr weit, also hatte ich nur eine Wahl: arbeiten beim Bauern! Zwei Wochen vor dem Start der Serie hatte ich den Konverter und sicherheitshalber neben dem Familien-TV noch einen schon ausgedienten, aber funktionstüchtigen zweiten Fernseher für die eigene Bude organisiert. Voila, ich war gewappnet!
Die erste Folge schaute ich damals zu ungewohnt später Stunde noch mit meinem Stiefvater zusammen, der auch immer gern JOHN DRAKE gesehen hatte. Nach dem Ende der ersten Folge war ich reichlich verwirrt und suchte nach einer Einordnung. Dann sagte mein Stiefvater: "Was für ein Scheiß!"
FALTBROSCHÜRE 1998
Das war für mich das Signal – die Serie muß gut sein! Das bestätigte sich für mich nach 13 ausgestrahlten Folgen und ich war in regem Austausch mit einigen Schulfreunden, die auch zu später Stunde mehrere Folgen hatten sehen können. Auch meine Deutschlehrerin war begeistert von der Serie gewesen und so gestattete sie mir, meine Abschlussarbeit in Deutsch über die Serie schreiben zu dürfen. Leider habe ich die Arbeit nie mehr zu Gesicht bekommen und weiß nicht mehr, was ich da zusammengeschrieben habe, aber sie war mit "gut" bewertet worden. Das ZDF wiederholte etwas mehr als zwei Jahre später sieben Folgen der Serie. "HÖR ZU" titelte: "Neue Chance für Nr. 6". Eine achte geplante Folge entfiel wegen des Anschlags auf der Sommer-Olympiade 1972.
Dann war 15 Jahre "Funkstille". McGoohan "besuchte" uns in der Zwischenzeit mit wenigen Spielfilmen im öffentlich rechtlichen Fernsehen – aber NUMMER 6? Die Erinnerung fing schon etwas an zu verblassen und ich fragte mich des öfteren schon, ob das denn alles wirklich "so gut" war,
was ich damals gesehen hatte. In meiner Verzweiflung gelangte ich auf abenteuerlichen Wegen an eine Freischaltkarte des britischen Privatsenders "BRAVO", der DANGER MAN und THE PRISONER derzeit ausstrahlte. Die Aufnahmen auf meinen Videorecorder waren aufgrund der zickigen Karte unvollständig und die Qualität war bescheiden. Mit Einführung der deutschen Privatsender bot mir Mitte der 80er Jahre SAT1 die Gelegenheit, beide Serien erneut aufzunehmen. Da ich aber keinen Kabelanschluss besaß, mußte ich mich jedesmal, meinen Röhrenfernseher schleppend, zwei Straßenzüge weiter, bei Freunden einladen, bis ich endlich die deutschen Folgen von JOHN DRAKE (1. Staffel) und die 13 Episoden von NUMMER 6“ auf VHS-Band mein eigen nennen durfte.
In den darauf folgenden Jahren ließ ich keine Gelegenheit aus, in meiner Stammkneipe und auch anderswo, "den Gefangenen" zum Gespräch zu machen, die Inhalte zu erklären, neugierig zu machen, oder bei manchen verschüttete Erinnerungen wachzurufen, auch wenn sie sich teils nur auf "den weißen Ballon" begründeten. Nachdem ich Anfang der 90er Jahre die Gelegenheit bekam, an meiner Arbeitsstelle einen Raum und einen Beamer zu nutzen, zeigte ich "noch spaßeshalber" einigen Kollegen 2 NUMMER 6-Folgen und erntete eine positive Resonanz: man wolle mehr davon sehen!
1994 machte ich mit zwei Freunden eine Fahrradtour nach Wales, und Portmeirion stand mit auf dem Programm, von dem ich damals nur aus einem TV-Programm-Schnipsel wußte, daß er der Drehort der Außenaufnahmen zu NUMMER 6 war. Da ich ansonsten bar jeder Information gewesen war, erreichten wir den Ort zwei Tage nach der Convention, wie uns Einheimische berichten konnten. (Die Convention habe ich mehrfach in den Folgejahren besuchen können). Da wir auch noch in London waren, bekam ich Zugang zu Büchern zur Serie und über den Kontakt zu SIX OF ONE mehrere Jahre ihr Magazin zugeschickt, in dessen Leserbriefen mir immer mal wieder die Namen Arno Baumgärtel und Michael Brüne auffielen.
1997 war es dann soweit. Ich hatte mir ein ordentliches Archiv von mehr als 30 Interessierten und deren Adressen angelegt. Der Hamburger NUMMERER 6-Club stand in den Startlöchern. Ich fertigte Einladungskarten mit zu jeder Veranstaltung unterschiedlichen Motiven und ließ diese per Post zugehen. Auf dem Spielplan standen pro Abend 2 Folgen der Serie NUMMER 6 und die vier bis dahin nicht synchronisierten Originalfolgen. Die
MEHRSEITIGE FALTBROSCHÜRE VON 1998
Veranstaltungen folgten in unregelmäßigen Abständen von 3 - 6 Wochen mit einem guten Besucheranteil von durchschnittlich 70%. Auf Tischen und an den Wänden legte ich Begleitmaterial zumeist von SIX OF ONE aus, es gab zu essen und Getränke, als auch kurze Pausen zwischen den Folgen für Gespräche, die auch von einem kleineren Besucherkreis am späten Abend in einer ausgesuchten Kneipe bis manchmal spät in die Nacht fortgesetzt wurden.
Zwischenzeitlich war ich mit einem Freund und Kollegen in einem Hamburger "Irish-Pub" zu Gast und wir ließen uns ein paar Guinness schmecken, als ein Pub-Quiz ausgerufen wurde. Kneifen ging nicht, wir mußten mitmachen, und wurden mit 2 weiteren deutschen Besuchern in eine Gruppe gesteckt. Auf einem Zettel hatten wir unsere Antworten auf die ausgerufenen Fragen, deren es acht bis zehn waren, zu schreiben, es war also kein Multple-Choice-Test! Für unsere Gruppe waren die Fragen sauschwer, aber die Frage Nummer 6 erhellte die Mienen meines Kollegen und mir:
Wie heißt die Fernsehserie, in der ein großer weißer Ballon eine wichtige Rolle spielt und wie heißt der Hauptdarsteller der Serie?
Aufgrund unseres Wissens erhielten wir 4 Punkte und waren so nicht mal die schlechtesten Teilnehmer gewesen, außerdem versetzte die richtige Beantwortung die Jury des Quiz in Erstaunen. Wie sich später herausstellte, waren unsere Mitstreiter in der Gruppe, ein Pärchen, beim NDR beschäftigt, er als Regisseur, beide kannten die Serie nicht und ließen sich von uns nun mit den nötigen Informationen füttern. So angefacht, kamen sie beide zu den noch ausstehenden Club-Abenden. An einem der Abende brachten sie einen befreundeten Regisseur aus den USA mit, den sie begeistert dazu überreden hatten können. Glücklicherweise stand zufällig eine Originalfolge auf dem Programm: "Living In Harmony", und so konnte auch er sich ein Bild machen und war sehr angetan. Aufgrund der letzten Folge im Oktober 1999 endeten unsere Zusammenkünfte mit der "FALL-OUT-Party", die ein etwas ausgedehnteres Programm aufwies.
FALTBLATT ZUR
"FALL-OUT"-PARTY 1999
Dass etwas Gefallen findet, sieht man daran, daß viele enttäuscht sind, wenn es endet. Somit habe ich nach einiger Überlegung unseren Club in den TALLY HO Cinema-Club übergehen lassen, in dem wir viele "außergewöhnliche" Filme mit Anspruch gesehen haben, wie z.B. Roy Anderssons SONGS FROM THE SECOND FLOOR, Michael Hanekes DIE KLAVIERSPIELERIN oder David Lynchs LOST HIGHWAY, um nur einige zu nennen. Ab 2004 habe ich im Vorprogramm jeweils nochmal eine Folge NUMMER 6 gezeigt, für "alte" Enthusiasten und mehrfach neu hinzugekommene Teilnehmer/innen.
Nach insgesamt 10 Jahren, 2007, beendete ich unseren "Club" aufgrund des Umzugs unserer Einrichtung in ein anderes Gebäude, und weil man aufhören soll, so lange es schön ist…
Nun erfreue ich mich meinerseits an nr6de, ihren Treffen, all den netten Leuten, die sich dort einbringen, Arno und Michael nun auch in persona kennengelernt zu haben und bringe mich gern ein, wo ich kann!
Wir sehen uns!
PRISONER-CONVENTION: GRUNDLEGENDE INFORMATIONEN
MEHR: VILLAGE STORY BOOK
NUMMER 6 - 1969 DEUTSCHE FERNSEHPREMIERE
PATRICK McGOOHAN 19.03.1928 - 13.01.2009
Manfred Brandt lebt in Hamburg und arbeitet im grafischen bereich. Markenzeichen seiner NUMMER 6-veranstaltungen in den 90er jahren waren sehr schön gestaltete einladungskarten (wie abgebildet). Heute beteiligt er sich an den aktivitäten von nr6de.
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