Im jahr 2009, zum 40. jahrestag der deutschen fernsehpremiere von NUMMER 6, hatten wir gefragt: Was ist besonders
an NUMMER 6? Was ist es, das Sie an den haken genommen und nicht
wieder los gelassen hat? Was ist das spezifische
daran, dass man spätere televisionäre und filmische produkte
sogar mit dem attribut "prisoneresk" belegt hat? Diese rubrik steht weiterhin für beiträge, erinnerung oder theorie, zur verfügung. Don't be shy!
Von
Marc Christiansen
IT-administrator, conventionfahrer, team Nr6DE
Es war der Privatinitiative einer gewissen Gemeinde im Hessischen zu verdanken, dass das Kabelfernsehen 1990 auch Einzug in das Wohnzimmer meiner Eltern hielt. Die Deutsche Bundespost Telekom hätte von sich aus dort auf absehbare Zeit sicher kein Breitbandkabel verlegt, da das gemessen an der Anzahl der wenigen Haushalte eine zu hohe Investition gewesen wäre. Mein Vater wollte es erst gar nicht haben (er zankte sich auch eine ganze Zeit lang mit der Gemeinde herum, weil der berühmt-berüchtigte S6-Kanal in seine Amateurfunk-Frequenzen hineinstrahlte), aber mein Bruder und ich haben ihn so lange genervt bis er schließlich doch einwilligte und wir somit in den Genuß zahlreicher weiterer TV-Programme kamen.
Heute kann ich mir schon gar nicht mehr erklären, warum ich so verrückt nach diesen ganzen privaten "Dumpfbacken"-Sendern war. In erster Linie waren es die Musikkanäle wie MTV und seinerzeit noch SuperChannel, über die man nun endlich die Videos seiner Lieblingsinterpreten sehen konnte. Bis dahin gab es ja für "moderne" Pop-Musik im Grunde nur "Formel Eins" in der ARD und diese Musiksendung wurde 1990 auch schon wieder eingestellt.
Auf einmal lief nun auch am Samstagsvormittag bei uns der Fernseher - was meiner Mutter gar nicht sonderlich gefiel, so früh am Morgen schon die Flimmerkiste. Da liefen dann so Sachen wie z.B. DICK & DOOF, TIME TUNNEL, Kinderserien wie "Die Bären sind los" und andere Serienklassiker aus der Zeit meiner Kindheit aus den 70er Jahren. Pro7 war zu der Zeit der Sender, der all diese Klassiker im Samstag-Vormittagprogramm ausstrahlte (verständlich, denn Pro7 war wie SAT.1 ein Sender, der unter den Fittichen des Fernsehmoguls Leo Kirch stand, der zahlreiche Rechte an Serienklassikern inne hielt). So stieß ich dann 1990 auch erstmals auf NUMMER 6, welches im Rahmen dieses Serienklassiker-Samstagvormittags ausgestrahlt wurde.
SICHERHEISKRÄFTE DES VILLAGES SCHAFFEN DEN AUTOR NACH SEINEN
ENTHÜLLUNGEN ZUR AVERSIONSTHERAPIE...
Patrick McGoohan war für mich zu der Zeit noch überhaupt kein Begriff. Ich wußte weder etwas von John Drake, noch von den zahlreichen Filmen, in denen er mitgewirkt hat. Naja, so schwach meine ich mich zu entsinnen, dass ich "Eisstation Zebra" zu dem Zeitpunkt schon mal gesehen hatte. Aber da war mir bestenfalls Rock Hudson als bekannter Name hängengeblieben.
Interessanterweise bin ich gleich bei Folge 1 in die Serie gestolpert und war sofort fasziniert von der Kulisse, durch die ein Mann (auf mich etwas orientierungslos wirkend) durch die Gegend rannte und ein System zu durchdringen versuchte, in das er gezwungenermaßen hineingeraten war. "1984 auf dem Dorf" schieß es mir zunächst durch den Kopf. Wobei es im Gegensatz zu "1984" noch ein "Draußen" gab, eine freie Welt, in die unser Protagnist mit mäßigem Erfolg zu fliehen versuchte.
40 JAHRE NUMMER 6 - DEUTSCHE TV-PREMIERE
PATRICK McGOOHAN 19.03.1928 - 13.01.2009
CHRONIK 1969 - mehr...
MEHR: VILLAGE STORY BOOK
BLICK: NUMMER 6 - PRISONER CONVENTION
Wenn einen ein Kunstwerk, sei es nun ein Gemälde, Musik- oder Theaterstück oder wie hier eine TV-Serie so dermaßen mitreißt, liegt die Ursache dafür ja auch sehr oft darin, daß man das Dargestellte auf sich selbst projiziert und man sich darin wiederfindet. Ich hatte zur damaligen Zeit gerade mein Abitur hinter mir (1989) und ein Chemie-Studium begonnen. So hundertprozentig überzeugt war ich von dieser Entscheidung von Anfang an nicht gewesen. D.h. ich war selbst noch auf der Suche nach meinem zukünftigen Lebensweg - rückblickend betrachtet war für mich dieses Studium ein Irrweg oder (um diese auf NUMMER 6 bezogene Metapher zu verwenden) in gewisser Weise auch ein Gefängnis. Diese Laborarbeit... das lag mir überhaupt nicht! Das Chemie-Labor war sozusagen mein persönliches "Village".
Was mich aber noch mehr faszinierte, war dieses unnachgiebig Rebellische an NUMMER 6. Seinerzeit habe ich mich sehr für die Studentenbewegung der 1960er Jahre interessiert und sogar meine mündliche Abiturprüfung im Fach Gemeinschaftskunde über dieses Thema abgelegt - was ein wenig gewagt war, denn die Lehrer, die dort in der Prüfung saßen waren allesamt Teil dieser Bewegung gewesen, haben diesen Teil der Geschichte also live miterlebt. Da kommt man sich schon ein bisschen komisch vor, wenn man denen dann Sachen erzählt, an denen sie ja selbst mitgewirkt haben. Für mich war "Nummer Sechs" also zunächst eine Ikone der Rebellion, der mit eisernem Selbstbewußtsein für seine Überzeugungen einsteht. Ein Vorkämpfer für den Freigeist - also durch und durch ein Held.
Was hat es mich damals geärgert, dass die Serie urplötzlich abgebrochen wurde und ich nun nicht erfahren konnte, ob meinem Helden letztendlich doch die Flucht gelingt und (noch viel wichtiger), wer denn nun diese ominöse "Nummer Eins" ist. Ich habe die Nummer Eins seinerzeit für eine Fiktion gehalten - eine höhere Instanz, die es möglicherweise gar nicht gibt, aber eben mit als Legitimationsgrundlage (und als (Mit-) Begründer) für das Village herhalten musste. Oder kurz gesprochen: "Nummer Zwei" ist auch gleichzeitig "Nummer Eins ", versteckt sich aber hinter der Verantwortung, die so eine "Nummer Eins" für gewöhnlich hat. Wie oft delegieren Menschen ja die unangenehmen Entscheidungen auf die nächsthöhere Ebene...
Die Serie geriet nun erst einmal in Vergessenheit. Der "Hörzu" sei Dank, dass ich 1992 sofort wieder aufmerkam wurde, als ich (wie fast jede Woche, wenn die neue Ausgabe bei meinen Eltern auf dem Tisch kam) durch das Programm blätterte. Die "Hörzu" gab es bei uns, seit ich denken kann. Und da tauchte dann auf einmal auch dieser Nummer Sechs wieder auf. Erfreulicherweise startete die Serie noch einmal von vorne, sodass ich meinen VHS-Videorekorder startbereit halten konnte. Denn die Serie kam spät abends, und ich habe sie nach meiner Erinnerung nur teilweise "live" angeschaut.
Ich hatte nun also die Möglichkeit, mir die Folgen jederzeit nochmal anzuschauen. Zur damaligen Zeit standen bei mir die sehr technikorientierten, science-fiction-geprägten Folgen wie "A. B. und C." und "Der General" sehr hoch im Kurs. Also, "A. B. und C." habe ich bestimmt zigmal gesehen damals. Weil mir auch dieses Ende zu gut gefiel - wie der Überwacher vom Überwachten überführt wird. Eigentlich hätte das ja schon eine Vorahnung darauf sein können, was einem am Ende erwartet. Das Vorhalten eines Spiegels. Der passende Soundtrack zu der Folge damals: Der Song "Dream Photography" von Coil. "Der Spiegel" - so hieß auch einer der ersten Songs von Goethes Erben, die sich im gleichen Jahr in mein Bewußtsein einschlichen. Oswald Henke, auch ein Rebell, aber auf ganz andere Weise, viel emotionaler und extrovertierter. Irgendwie haben sich dann diese beiden Personen bei mir im Gedächtnis fest gefressen. Spätestens mit der Folge "Pas de Deux" kippte dann auch meine Heldenverehrung für den erimitierten Agenten. Dass diese Folge autobiographisch war, war mir vom ersten Moment klar. So etwas kann man nicht komplett erfinden.
Und dann dieses Ende in "Demaskierung" - wow! Total verrückt. Die maskierten Geschworenen, dieser Knochensong, Alexis Kanner als 68er, "All You Need Is Love" zu Maschinengewehr-Geballer, der Kontrollraum in der Rakete mit all den Welt-Globussen. So als würde ausnahmslos alles von dort gesteuert werden - wir, die Welt, einfach alles konzentrierte sich nun auf diesen Showdown. Keine Special Effects, keine Action und doch so bildgewaltig. Und letztendlich sind wir es doch selbst, die wir es in der Hand haben, unser Leben zu gestalten. Denn am Ende begegnen wir uns immer selbst.
"Wir dachten, dass sie zufriedener wären, wenn sie sie selber sind." schallte es im Tunnel auf dem Weg in den Gerichtssaal. Wieder so ein Wink mit dem Zaunpfahl, wie das Ganze enden würde. Der Held war dahin, er hatte seine Maske verloren, er war frei und doch verwundet. Schau in den Spiegel, dort stehst Du, sie Dir selbst ins Gesicht. Reflektiere Dich selbst, bevor Du über andere urteilst. Denn bei all seinen Fluchtversuchen hatte Nummer Sechs seine eigene Person immer auch (bewußt oder unbewußt) über die anderen gestellt. Jetzt wurde mir auch das mit "Schachmatt" klar. Was Nummer Sechs letztendlich doch fehlte, war der Zugang zu den anderen Menschen. Weil er ihnen zu sehr mißtraute (und sie ein Stück weit auch mißbrauchte).
Das "Village" ist ein Mikrokosmos, ein verkleinertes Abbild unserer Gesellschaft mit all ihren Zwängen, den Rollen, die jeder Einzelne zu übernehmen hat... letztendlich hat dieses "Village" aber auch eine unbeschreiblich schöne Ästethik, etwas worin man sich verlieren kann, ohne gleich abhauen zu wollen.
Ich bin ja nun auch auf dem Land groß geworden - mein "Village" war eine knapp 3000 Einwohner zählende Seelengemeinde, in der jeder jeden kennt und in der... nun ja, sagen wir mal sehr bürgerliche Strukturen vorherrschen. Da fiel ich dann schon allein deswegen auf, weil ich mir Ende der 80er Jahre das erste Mal die Haare länger wachsen ließ. Für mich war das Dorfleben nichts. Es wirkte auf mich immer auch ein bisschen engstirnig, zu wenig "open minded". Aber die Natur... ja die vermisse ich schon manchmal in der Stadt... die hat mich dort doch geprägt...
Gewisse Zwänge im Leben muss man hinnehmen. Wir kommen zufällig als Menschen auf die Welt (es hätte schlimmer kommen können, wer möchte stattdessen z.B. als Eintagsfliege das Licht der Welt erblicken ?), mit einer großen Wahrscheinlichkeit werden wir in Armut hineingeboren (wir haben also Glück gehabt, diese westliche Zivilisation getroffen zu haben), bekommen eine Staatsbürgerschaft aufdoktriniert (Warum muß ich unbedingt deutsch sein ? - Ob die Schöpfung das so gewollt hat ?), erben damit bestimmte kulturelle Regeln, Sitten und Gebräuche (und auch deren zuweilen merkwürdigen Eigenheiten) und müssen erleben, dass diese Welt nicht gerecht und der Mensch eben nicht moralisch integer ist.
Aber sich ständig und immer nur gegen alles aufzulehnen stresst. Und da machen die Mitmenschen auch nicht lange mit und man steht wie Nummer Sechs irgendwann alleine da, wenn man den Hardcore-Kurs fährt. Leider konnte ich seinerzeit niemandem aus meinem Bekanntenkreis für unsere Serie begeistern. Irgendwann erfuhr ich, dass es noch vier weitere Folgen von THE PRISONER gab, die nicht ins Deutsche synchronisiert worden waren. Es sollte jedoch noch ein paar Jahre dauern bis ich über einen Internet-Shop aus der Anfangszeit des Netzes (Amazon war da noch ein kleiner, unbedeutender elektronischer Buchladen) auf eine VHS-Kollektion der kompletten Serie stieß. Der Shop (IMV oder so ähnlich) hatte sich auf Import-Artikel aus UK spezialisiert. Ich war ganz nervös, als ich dann das erste Mal die vier bislang noch nicht gesehenen Folgen bewundern durfte. Das muss so ca. 1996/97 gewesen sein. Und eine alternative Version von "Die Glocken von Big Ben" war auch schon mit dabei. Ansonsten erinnere ich mich noch an den Flaschenöffner, der als Merchandise-Artikel als Bonus dabei war ;-)
Aber ganz ehrlich: Für mich war es zu der Zeit doch anstrengend, dem englischen Originalton zu folgen, obwohl ich "Free For All" sofort als eine der wichtigsten Folgen der gesamten Serie identifiziert habe. Und mir war auch klar, warum man die ursprünglich nicht ins Deutsche übersetzt hat. Das Obrigkeitsdenken Ende der 60er/Anfang der 70er Jahre war einfach noch zu stark ausgeprägt und diese Folge musste zwangsläufig als "politisch unkorrekt" gelten.
Danach war dann wieder ein paar Jahre Pause bis letztendlich die erste britische DVD-Ausgabe auf den Markt kam und ich nicht umhin kam, mir auch die zuzulegen. Ich hätte nie zu träumen gewagt, dass die deutsche Fassung überhaupt einmal auf DVD erscheinen würde. Es gab Zeiten, da dachte ich, ich bin der einzige deutsche "Nummer 6"-Fan überhaupt. Aber die Wende kam dann 2010 mit der ARTE-Ausstrahlung. Und den weiteren Weg kennt Ihr ja...
40 JAHRE NUMMER 6 - DEUTSCHE TV-PREMIERE 1969
PATRICK McGOOHAN 19.03.1928 - 13.01.2009 - mehr...
EIN STANDPUNKT (SPOILER MÖGL.)
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